Waltraud Flickinger         Menu

Ausstellung in der Galerie Pich vom 26.09. - 26.10.2000

Rede von Ingrid Zimmermann am 24.4.2000

anlässlich der Eröffnung der Ausstellung von Waltraud Flickinger
in der Galerie Ildikó Risse im Alten Rathaus in Weßling


Was ist künstlerische Freiheit? Wahrscheinlich fällt den meisten von Ihnen dazu ein, wie ihr jüngst der Boden entzogen wurde, als nämlich der Bürgermeister von New York eine Ausstellung verbot, in der sakrale Symbole mit Dung beschmiert worden waren. Möglicherweise haben Sie sich überlegt, wie Sie reagiert hätten. Ist es wirklich nur stockkonservativ und kirchentreu, wenn einem das nicht gefällt? Oder sitzt da tiefer etwas in uns, das eine solche Verunglimpfung nicht gut heißen mag, auch wenn es in gediegenem Rahmen geschieht und eine bewußte und ernst gemeinte Provokation ist? Wie frei ist denn eigentlich der Betrachter?

Dieser Ihnen vielleicht etwas merkwürdig vorkommende Einstieg war Absicht. Ich möchte nämlich angesichts der Arbeiten von Waltraud Flickinger auf das Thema Freiheit hinaus. In einem Fax, das sie mir geschickt hat, als ich schon angefangen hatte, mich mit den Bildern zu beschäftigen, schrieb sie mir: "Ich möchte in meiner Arbeit vollkommen ich selbst und frei sein, ohne ein Thema, das oft nur erzwungen ist", und sie schrieb auch dies: "Offenheit, Wahrnehmungsfähigkeit und Kreativität ist für mich die wichtigste Botschaft "

Kurz möchte ich noch einmal zum Thema künstlerische Freiheit kommen und dann erst zur Freiheit des Künstlers. In Japan, einem Land mit intensiver und sicherlich stark prägender Ahnenkultur, gibt es eine Jahrhunderte alte Keramiktradition. Die Gefäße, meist Schalen und Vasen, haben eine bestimmte, exakt vorgeschriebene Form zu haben. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass Meister ihren Arbeiten an einer verdeckten Stelle einen winzigen Abdruck eines ihrer Finger mitgeben. Sie nehmen sich die Freiheit, trotz aller Zwänge eine lndividualisierung zuzulassen. Ähnliches ist von der chinesischen Zen-Malerei zu sagen. Die Zeichen sind auf die gleiche, über viele Jahre zu übende Form zu setzen. Dennoch machen Fachkundige winzige Abweichungen im Pinselansatz aus, die auf die Persönlichkeit des Schreibenden zurückgeht. In der europäischen Malerei gibt es eine Entsprechung: Die lkonen des frühen Christentums. Auch hier durfte künstlerische Freiheit sich nicht regen, denn das Malen von lkonen war ein heiliger und völlig durchritualisierter Akt. Deutliche Abweichungen wären Blasphemie gewesen, vielleicht sogar Sünde. "Dein Wille geschehe", das war die angestrebte Haltung. Der Ikonenmaler hatte die Freiheit, sich darin glücklich zu fühlen, indem er nach seinen inneren Möglichkeiten nachvollzog, was Konvention verlangte. Aber auch an lkonen sind eben doch persönliche Handschriften abzulesen

Hat eine Malerin von heute, Waltraud Flickinger, alle Freiheit? Sie hat nicht. Die wichtigsten Grenzen setzt ihr ihre eigenen innere Struktur, ihr Denken, ihr Fühlen, das, was im Laufe ihres Lebens an Meinungen und Beurteilungen in ihr gewachsen ist. Andere Grenzen setzt die Ästhetik, für die diese Malerin ein ausgeprägtes Gespür hat. Ihre Farben sind warm, lebendig, angenehm, aber nicht ohne eine manchmal sogar süße - niemals süßliche - Melancholie, ihre Formen sind manchmal provozierend, aber niemals Schläge in die Magengrube. Zu diesen inneren Begrenzungen kommen äußere: Das künstlerische Handwerk setzt Schranken. Papier und Farbe oder gar alle möglichen anderen Materialien, mit denen sie arbeitet, lassen keineswegs alles mit sich machen. Auch die Formate schränken ein: Die fast miniaturhaften Studien verlangen ein völlig anderes Vorgehen als die großen Bilder. Ganz zu schweigen von den plastischen Arbeiten aus allem möglichen Material, vor allem Pappe und Pappmaché, die viel Anpassung und Einlassen verlangen.

Als klar war in ihrem Leben, das bis dahin in anderen beruflichen Bahnen gelaufen war, dass sie in die künstlerische Richtung gehen wollte, tat Waltraud Flickinger das Vemünftigste: Sie sorgte für gutes Handwerkskönnen und -wissen und blieb über längere Zeit bei konventionellen Motiven. So erarbeitete sie sich die Geheimnisse der Plastizität, ließ ein Gespür für Landschaften wachsen, lernte souverän mit Pinsel, Farbe und Untergrund umzugehen. Dann kam der erste Schritt in Richtung auf ein Stück Freiheit

Ehe ich endgültig zu Waltraud Flickingers Freiheit in ihrer Malerei komme, noch zu einer anderen Vorgabe von ihr: Wahrhaftigkeit. Was kann Wahrhaftigkeit für einen Maler sein? Sicher kann ein Maler zum Beispiel keine absoluten Wahrheiten mitteilen. Denn auch ein Künstler hat nur Zugang zu seinen persönlichen Wahrheiten, das was er als Wahrheit für sich erkennen kann. Aber er kann sich selbst gegenüber wahrhaftig sein. Ist er es nicht, werden Manieriertheiten, Zitate, Imitate, leere Flecken und unglaubwürdige Formen, die nicht geerdet und nirgends verankert sind, die Folge sein. Das ist bei Waltraud Flickinger nicht der Fall. Ihre Bilder sind authentisch. Das ist keine geringe Qualität, und diese Qualität durfte mit der Grund sein, dass diese Bilder den Betrachter ansprechen und berühren.

An der Wiege ihres Aufbruchs zur Freiheit stehen für Waltraud Flickinger ein paar Vorbilder - Yves Klein und Asger Jorn - und prompt sind wir schon wieder bei Beschränkungen. Vorbilder sind Beschränkungen. Aber es ist in Ordnung so. Sie habe dort Verwandtschaften gefunden und ihr Mut sei gewachsen, sagt sie. Denn es braucht Mut, der Welt mitzuteilen, wie man die Dinge sieht.

Wie geht es nun also, dass diese Frau sich die persönliche Freiheit nimmt, ihre Gefühle und Sichten aufzuspüren? Impulse können von außen und von innen kommen, aus dem Kopf oder aus der Seele. Waltraud Flickinger ist, soweit ich das beurteilen kann, ein sehr gefühlsstarker Mensch. Darum ist ihr das Herz ans Herz gewachsen. Im hinteren Zimmer sehen Sie die großformatige Arbeit "Haut und Herz" und das "Herztier", das seine dünne Haut hat nicht ausreichend schützen können. Sie ist aufgebrochen, so dass man hineingehen kann in diesen Brustkorb, genau da, wo das Herz sitzt. Das Tier steht da in einer demütigen Haltung. Herztiere bekommen leicht Schläge. Darum musste auch herausgefunden werden, wie dicht die Haut sein muss, damit es diese Schläge aushält. Was frisst uns auf, fragt das Bild "Haut und Herz", und es fragt, ob wir den Schutzpanzer dicht genug halten können, ohne von ihm erstickt zu werden.

Zum Herzen und zu den Gefühlen gehören für viele Menschen die Tiere. Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie immer wieder Tiere in diesen Bildern finden. Zum Beispiel in der Arbeit "Bilderflut". Da sitzt in der Mitte ein Wesen, das sich vollgefressen hat, aber nicht glücklich ist mit seinem vollen Bauch, man sieht es an seinem einen, scheelen Auge, und die Malerin hat ihm eine Bestandsaufnahme mitgegeben, was nun alles durch diesen Konsum verloren gegangen ist. Ob es für ihn zoologische Tiere sind, muss jeder Betrachter für sich entscheiden. Vielleicht sind es auch Seelen- oder Schutztiere.

Mit einem Tier, aber auf andere Weise, haben auch jene Bilder zu tun, bei denen etwas Drückendes von oben herab kommt. Sie habe den Fuß eines Elefanten gesehen, berichtet Waltraud Flickinger, er sei mit einer dicken Kette auf schlimme Weise gefesselt gewesen. Da musste sie in sich nachschauen, was so ein starker Fuß alles sein kann, das Unwetter, die Apokalypse, die uralte Angst, dass etwas Dunkles vom Himmel herab kommt und alles tötet. Vielleicht hat der Elefant auf irgend eine verborgene energetische Weise dann begriffen, wie stark sein Fuß wäre - wenn er ihn frei bekäme...

Dann kann es mal darum gehen, was passiert, wenn etwas von innen nach außen sich bewegt und im Gegensatz dazu von außen nach innen. Das sind die beiden grünen Bilder im ersten Raum. Von Themen hält sie nichts, sagt die Malerin, aber dann gab es doch einmal eins, das sie gereizt hat: Licht und Schatten. Sie begann zu arbeiten, und es wurde ein Torbogen, um den das Licht kriecht. Oder kriecht die Dunkelheit heraus? Auch das Boot, der Kahn oder Nachen, der in der Mythologie so viel bedeutet, und der Kokon, diese dem Boot ähnliche Form, hat sich malerisch hinterfragen lassen müssen. Wie ist es, drinnen zu sein, wie ist es, außerhalb zu sein? Wie lässt es sich mit Form und Farbe ausdrucken? Ist dem das schnelle Arbeiten mit fließenden Farben angemessen, oder der Aufbau von Schichtungen über Monate hinweg? Waltraud Flickinger stehen beide Möglichkeiten offen. Und an irgendeinem Punkt stellt sie plötzlich fest, dass ein Kreuz sichtbar wird, dass eine sakrale Qualität sich eingestellt hat. Sie war nicht gewollt, aber sie ist da. Ist das Bild dann fertig? Wann ist das Bild fertig? Wieder eine Frage ohne konkrete Antwort. Der Künstler ist ganz allein mit dieser Frage.

Ich persönlich mag besonders gern die Bilder, die keine Assoziationen wecken, wie etwa die drei an der Nordwand im hinteren Zimmer. Was sind sie? Landschaften? Stilleben? Schön sind sie, frei in ihrer Botschaft, aber geschaffen innerhalb der Gratwanderung zwischen Fließenlassen und Gestalten. Die Freiheit, sich von dem Urprinzip des Schöpferischen abzuwenden, hat der Künstler nicht. Erst wenn beides da ist, können wir anfangen von Kunst zu reden.

Ingrid Zimmermann



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