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1990 - 2002: A Shadow of Beauty






Wolfram Kastner:   A Shadow of Beauty


Sandro Botticelli setzte in seinem Gemälde "Die Geburt der Venus" (ca. 1484) die Göttin der Schönheit ins Zentrum des Bildes. Als Metapher für die Schönheit und das Selbstbewußtsein des (Renaissance)Menschen. Die römische Venus galt als Göttin des Frühlings und der Gärten. Im Neoplatonismus wird sie mit der Humanitas identifiziert, gezeugt von den vier Elementen der Natur und durch die Vereinigung des Geistes mit der Materie. Der Philosoph Marsilio Ficino verweist in einem Brief an Cosimo Medici auf die Tugenden der "Venus humanitas".

Die Venus von Botticelli zitiere ich in diesem Projekt als Metapher, die - in Linol geschnitten - per Hand auf unterschiedlichste Fotografien, Xerokopien und Laserkopien gedruckt wird, transparent oder undurchsichtig, in verschiedenen Größen und Farben. Ein Schemen oder Schatten der Schönheit (a shadow of beauty) fällt auf Abbildungskopien alltäglicher Wirklichkeit - als Zitat oder Erinnerung, als Andeutung von Möglichkeiten, als Sehversuch, Ahnung oder Utopie. Fragen zum Verhältnis von Wirlichkeit, Wahrnehmung und schönem Schein, nicht nur innerhalb der Kunst, tauchen dabei auf. Dieses Schema dient bei meinen ästhetischen Untersuchungen als Fragezeichen und Maßstab, Sehhilfe oder Kontrapunkt.

Die Szenen von Hochhäusern, Autobahnen, Landschaftklischees, Friedhöfen, Wohncontainern, Strommasten, Zäunen und Atomkraftwerken oder Fotos von Dachau und Auschwitz bezeichnen eine alltägliche Realität, aus der sich nicht wenige zumindest optisch herauszustehlen versuchen: in schönen Schein und schöne Bilder, in die Illusion von Harmonie und Erhabenheit. Diese Kluft zwischen Alltag und Schönheit in Wahrnehmung und Bewußtsein (möglicherweise ein Ausdruck tiefen Unbehagens) ist Gegenstand und Ausgangspunkt dieses Projekts. Die Verbindung disparater Zeichen und Bilder eröffnet ebenso wie die Überlagerung von scheinbar Gleichem einige ungewohnte Perspektiven. Die rot aufgedruckte Venus erscheint manchen als Warnlicht, als Hoffnungsfunke oder Flammenzeichen.

Botticelli´s Venus, als Werbegag abgenutzt und ausgehöhlt, ist gerade dadurch besonders geeignet, den Fragen der Schönheit und des vagen Scheins nachzugehen. Scheint in unseren Produkten, Welten und Handlungen noch menschliches Maß auf oder sind Schönheit und Maß zu irrealen Klischees verflacht? Kaum eine figürliche Darstellung der Kunst ist so häufig reproduziert worden. Aus dieser Metapher für menschliche Idealität wurde eine schöne Phrase. Schimmert dennoch in dieser umrißhaften und zu den Fotos kontrastierenden weiblichen Figur etwas durch von tatsächlich menschlichem Maß, das bescheidener ausfällt, als es die großen Ideologien und Religionen vortragen?

Möglicherweise werden Bilder des banalen Grauens durch den Aufdruck beschönigt und verharmlost. Hat das mit Gewöhnung und Abstumpfung und den Techniken des Schnell- und Schönsehens zu tun? Statt dieser Gefahr aus dem Weg zu gehen, ziehe ich es vor, das diffizile Phänomen zu untersuchen. Im Gesamtbild der Arbeiten wird das nachvollziehbar sein.

Das Projekt lädt auch dazu ein, dem Verhältnis von Realität und Ideal, Schönheit und Humanität nachzuspüren. Behauptet dieses zum Abziehbild gewordene Symbol menschlicher Schönheit gegenüber den Erscheinungsformen des Alltäglichen etwas von seiner inhaltlichen Bedeutung? Oder wird das Graue und Häßliche dekoriert und übertüncht? Wird die eilfertige Wahrnehmung angehalten und zum Verweilen gelockt? Vertuscht der schöne Schein alles, auch noch die gräßlichsten Details der Wirklichkeit? Oder bringt das Schema einer schönen Gestalt etwas von dem ins Bild, was sein könnte? Ist Schönheit anderes als glatte Oberfläche? Liegt selbst im schematischen Rest noch ein Anklang jener humanistischen Werte? Oder ist dem Schönseher alles gleich schön?

Wolfram Kastner



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