Jean-Marie Bottequin     Text 2     Menu

Ausstellung 17.05. - 14.06.2001

Panta rei        Artikel von Gerhard Finckh

Annäherungen an das Thema Verwandlung
in den Photoarbeiten von Jean-Marie Bottequin

Der Photograph Jean-Marie Bottequin betrachtet seine Kunst gerne vom Standpunkt der Malerei aus; denn die technischen Mittel der Photographie treffen in seinen Arbeiten auf Gestaltungsprinzipien der modernen Malerei, auf Montage, Collage, Decollage, auf die Spiegelung, auf die Verkehrung von positiver und negativer "Belichtung" und auf die surreale Verfremdung.

Der Begriff "Mutation", den Bottequin für seine neueren Arbeiten so glücklich gefunden hat, ist sicher als Hinweis auf diese Manipulation seiner Photographien mit Hilfe unterschiedlichster technischer Mittel zu verstehen, aber mehr noch betrifft "Mutation" das in diesen Bildern Dargestellte.

Die Veränderung der Form, die Verwandlung des Lebens, die Entwicklung der Welt sind seit einigen Jahren Jean-Marie Bottequins Themen. Dass im Laufe der jangjährigen Auseinandersetzung mit diesen Sujets auch die Arbeitsmethode und der Stil Bottequins "mutiert" haben, stimmt dabei mit der Auffassung des Künstlers, dass sich alles "im Fluss" befinde, und dass der Zufall, nicht nur im Werkprozess, eine wichtige Rolle spiele, überein.

Am bilderischen Anfang der Entwicklung zu diesen "Mutationen" genannten Bildern, einer Entwicklung, die als ein Prozess in Richtung einer formalen wie inhaltlichen Verdichtung zu sehen ist, standen Fotografien weiblicher Akte. Bottequin stellte seine Akte in leere, nicht näher charakterisierte Räume und da er sie ohne jegliches Requisit, ohne jedes Attribut darstellte, waren diese ortlosen Akte allein auf die ihnen eigene "Körpersprache" angewiesen: sie konnten mutig sich dem Betrachter entgegendrängen, sicher und abwartend verharren, abweherend die Kehrseite präsentieren und, da sie zumeist zu zweit auftraten, sich in ein spannungsvolles, räumlich schwer zu entschlüssendes und emotional komplexes Gegeneinander situieren.

Ein weiterer Schritt: Bottequin "torsierte" die Akte entweder durch ihre geschickte Positionierung im Bildraum oder aber durch Posen, die erst dem zweiten Blick die Wahrnehmung dieser "abstrakte" Formen als die weiblicher Körper erlaubten.

In solchen Aktdarstellungen spielte Bottequin mit Elementen wie Nähe und Ferne, Helligkeit und Dunkelheit, mit erotischer Anziehung und kalter Abwehr in einer Weise, wie sie in den plastischen Werken des englischen Malers und Objektkünstlers Allen Jones in den 60er und 70er Jahren anzutreffen waren. Während für Allen Jones allerdings die Rolle der Frau in der Gesellschaft ein wichtiges Thema war, ging Bottequins Auseinandersetzung mit dem weiblichen Akt in eine andere Richtung: So erotisch die Ausstrahlung mancher seiner Arbeiten sein mag, steht für Botttequin doch die künstlerische Form im Vordergrund des Interesses. Sie ist das Verbindende zwischen allen Photo-Arbeiten Bottequins, seien dies Darstellungen von weiblichen Akten oder Autos, Parfum oder Motorrädern, Mode oder einer Schauspielertruppe.

Bei aller Nähe zur zeitgenössischen Kunst in den "klasssischen" Disziplinen Malerei und Bildhauerei beanspruchen die photographischen Akte Bottequins keineswegs nur als typische Zeugnisse der Kunst der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts Geltung, vielmehr schlägt Rainer Maria Rilkes Gedicht über einen archaischen Torso (1908), das auch auf die torsierten Akte in den Photographien Bottequins zutrifft, die Brücke über die Zeiten hin zu einem vorzeitlichen und zeitlosen Bereich, um dessen Bildwerdung Jean-Marie Bottequin kämpft:

"Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,darin die Augenäpfel reiften. Abersein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,sich hält und glänzt.Sonst könnte nicht der Bugder Brust dich blenden, und im leisen Drehender Lenden könnte nicht ein Lächeln gehenzu jener Mitte, die die Zeugung trug ..."

Dieser Hinweis auf die Überzeitlichkeit der Arbeiten Jean-Marie Bottequins ist deshalb so wichtig, weil es ihm um die künstlerische Form und um das Grundsätzliche geht, das nach seiner Ansicht in allen Kulturen und zu allen Zeiten anzutreffen ist - Zeit wird damit für ihn zur puren "Erfindung".

Im Paris der 60er Jahre schuf Yves Klein, einer der "Magiciens" der Moderne, "Antropometrien", indem er nackte Mädchen ihren mit blauer Farbe überzogenen Körper auf grosse, weisse Leinwände abdrucken liess; etwas später entstanden mit Hilfe der atmosphärischen Einwirkung von Regen, Wind und Staub auf sensibilisierte und strukturierte Oberflächen Kleins "Kosmogonien".

Jean-Marie Bottequin strebt - allerdings auf einer anderen, "mystischen" Ebene, mit seinen Mitteln ähnliches an. Bedeckte Yves Klein seine Modelle mit einem besonderen Blau, um dadurch einen Abdruck der "himmlischen Schönheit", den Abglanz des Transzendenten auf die Leinwand zu bannen. hüllt Bottequin seine Menschen in erdige Pigmente und Schlamm, um damit ihre Nähe zur Erde deutlich zu machen.

In den Photographien der so verfremdeten Akte erreicht Bottequin eine Verbindung zwischen zwei Ebebebn: Die Urmutter der Menschheit, Eva, repräsentiert im Bild durch einen weiblichen Körper, der die Spuren von Erde an sich trägt und gelegentlich durch die innige Verbindung mit einer Schlange als die Figur aus der Bibel gekennzeichnet ist, bleibt zwar im Bild präsent, aber sie ist durch die Torsierung und ungewöhnliche Pose so verfremdet, dass sie sich nicht als Hauptattraktion in den Vordergrund drängen kann. Erst im Akt des genauen Hinsehens, des sich in das Bild Versenkens, gibt sie sich zu erkennen. Die fest umrissene, beschreibbare Form der menschlicher Figur bleibt zwar zunächst erhalten, aber sie ordnet sich der Bildstruktur unter; denn die Figur ist umgeben und überlagert von der konkreten Darstellung einer Landschaft, die ihre ganz eigene Gewichtung ins Bild bringt. Das Rinnen und Röcheln, das Knistern und Rauschen, das Säuseln und die eruptive Kraft einer als "ewig" aufgefassten Natur, - das Bild der allumfassenden gaia, der Mutter Erde, bringt sich dabei in Erinnerung - überlagern das fragile, nur schemenhaft wahrnehmbare Bild des Menschen.

Die - christliche - "Urmutter der Menschheit" und die - griechisch-urzeitliche - "Mutter Erde" sind schon damit in diesen Photographien in ein unauflösliches Spannungsverhältnis gebracht, aber in seinen neuesten Bildern geht Bottequin noch weiter: Er plaziert die mit Schlamm beschmierten Menschen in einem ebenso schlammigen Umfeld und macht damit die Grenzen zwischen Körper und Raum nahezu unkenntlich. Darüber hinaus spiegelt er diese verfremdeten Photos an vertikalen und horizontalen Achsen und erreicht dadurch Verdoppelungen nach allen Seiten, die an die Genesis erinnern, in der aus Teilungsprozessen Himmel und Erde, Licht und Finsternis, Wasser und Land, Sonne und Mond und schliesslich Mann und Frau entsprangen. Es entstehen so zumeist vierteilige Bildensembles, worin jedes Bild für sich die innige Verbindung zwischen Mensch und Erde feiert, die vier zusammen aber zu einer Art Übergeordnetem ornamentalen Vexierbild zusammenwachsen.

Mit dieser Art der Gestaltung von Bildzusammenhangen greift Jean-Marie Bottequin eines der virulenten Themen der Gegenwartskunst auf, um es mit seinen Mitteln, die immer die der Photographie eigenen sind, analytisch und künstlerisch zu durchdringen: es ist die Frage, inwiefern Inhalt und Form im Kunstwerk einander bedingen, in welchem Verhältnis zueinander sie stehen und zu stehen haben.

Georg Baselitz hat sich in den vergangenen 30 Jahren wohl in der spektakulärsten Weise mit diesem Problem auseinandergesetzt, indem er die Motive seiner Bilder auf den Kopf stellte, so dass sie zwar real vorhanden blieben, aber in ihrer Wertigkeit gegenüber der reinen Form zurücktraten. Der Leiter der documenta 7, Rudi Fuchs, schrieb 1991 über Baselitz' Ansatz: "Die Motivumkehrung macht eine Kunst möglich, die den merkwürdigen Gegensatz ,,abstrakt - figurativ nicht anerkennen muss und sich ihm auch tatsächlich entziehen kann, eine untheoretische Kunst". Sowohl Baselitz als auch Bottequin gehen aber über diese Aufhebung des Gegensatzes "figurativ - abstrakt" hinaus, indem sie mit ihrer Arbeit auch das Problem der Gewichtung von Inhalt und Form thematisieren und zur Auflösung bringen.

Die Gleichwertigkeit zwischen Form und Inhalt - so wie sie bei Jean-Marie Bottequin zu finden ist - diese Gleichgewichtigkeit ist es, die das Kunstwerk ermöglicht und bedingt. So trifft eine Definition des Begriffes "Kunst", die der bedeutende Kunstwissenschaftler Paul Frankl bereits in den 30er Jahren gewagt hat, gerade auch auf die Arbeiten von Jean-Marie Bottequin zu; denn Frankl formulierte schon damals "Kunst ist Form als Symbol ihres Sinnes".

Gerhard Finckh, Ausstellungsleiter Museum Folkwang Essen





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